Solidarität in Mülheim: Nachbarschaft für Obdachlose

Essensausgabe am Stand mit den Helferinnen und Helfern

Solidarität in Mülheim: Nachbarschaft für Obdachlose

Engagement des Monats Januar 2021

Engagementpreis NRW | Jeden Tag um 18.30 Uhr stehen sie an den Hauptbahnhöfen in Mülheim und in Oberhausen: die Helferinnen und Helfer des Vereins »Solidarität in Mülheim«. Sie verteilen Essen an Menschen, die ohne Obdach sind und auf der Straße leben müssen. Eine warme Suppe ist fast immer dabei – und ein warmes persönliches Wort. Viele obdachlose Menschen kommen sehr regelmäßig, oft freuen sich bis zu 70 Menschen über die stärkende Suppe oder einen heißen Tee.

Die Kontakte am Essenstand sind manchmal die einzigen sozialen Kontakte der Obdachlosen. Eine Engagierte des Vereins, Martina Justenhofen: »Bei uns finden die Menschen ein offenes Ohr und können ihren Hunger im Magen stillen. Wir bieten eine Nachbarschaft für Menschen, die keine Nachbarschaft haben.« Aus dieser Haltung heraus engagieren sich mittlerweile ca. 50 Helferinnen und Helfer.

Die Engagierten sind eine bunte Gruppe: junge und ältere Menschen, Menschen mit gutem Einkommen wie auch solche, die selber in prekären Lebenssituation leben. Sie engagieren sich vielfältig: besorgen Lebensmittel, kochen und geben das Essen aus. Um das alles hinzubekommen, hat sich der Verein immer besser aufgestellt. Der Verein besitzt mittlerweile zwei Lieferwagen, eine Ehrenamtliche kümmert sich um die Einsatzpläne, eine andere stellt ein Zimmer in ihrer Wohnung und einen privaten Kellerraum als Lagerraum zur Verfügung. Das Engagement hat die Gruppe immer mehr zusammengeschweißt und Freundschaften untereinander gestiftet. Das gute Miteinander bestimmt auch den Kontakt zu den Bedürftigen.

Sascha Prandstetter: »Bürger/innen, die uns besuchen, um Lebensmittelspenden abzugeben, sind immer wieder erstaunt, welche familiäre und friedliche Atmosphäre bei unserer Ausgabe herrscht.«

Begonnen hat alles im Winter 2018. Da gab es wieder einmal Kältetote im Ruhrgebiet. Menschen, die kein wärmendes Zuhause haben und in der brutalen Kälte auf der Straße einfach erfrieren. Das hat Sascha Prandstetter keine Ruhe gelassen. Schnell hat er 7 andere Helfer/innen gefunden, nach einem halben Jahr waren sie dann doppelt so viele – und heute engagieren sich ca. 50 Menschen regelmäßig. Das erlaubt dem 2019 gegründeten Verein auch, die Aktivtitäten auf die Nachbarstadt Oberhausen auszuweiten.

Die Kälte im Winter war der Anfang – aber im Sommer, wenn die Kälte geht, bleibt der Hunger. Und die Hitze draußen ist für Menschen ohne ein Zuhause fast ebenso unerträglich und lebensbedrohlich wie die Kälte in den Wintermonaten.

Corona hat das Engagement verändert: es kamen zeitweise noch mehr Bedürftige, weil andere soziale Anlaufpunkte geschlossen hatten. Auch die Corona-Pandemie 2020/2021 zeigt: Menschen, die auf der Straße leben, haben keine Lobby und sind von den Maßnahmen der Pandemieeindämmung besonders betroffen. Im Winter 2020 heißt es in den Coronaverordnungen: möglichst wenig Kontakte, möglichst zuhause bleiben. Was bedeutet das für Menschen, deren Zuhause der öffentliche Raum der Straßen und Plätze ist?

Auch die Arbeitsabläufe mussten den Pandemieregelungen angepasst werden: Die alle drei Wochen stattfindenden Treffen der Engagierten im Verein werden im Winter 2020/2021 durch eine whatsapp-Gruppe ersetzt. Mit ihrem Engagement und ihrer Grundhaltung gelingt es den Aktiven im Verein unablässig Spenden einzutreiben. Da werden Lebensmittel von foodsavern, von einem Hotel, von der Tafel, von zwei Biomärkten und auch von Gastronomen gespendet. Wer wann wieviel spendet ist nicht berechenbar oder planbar. Aber bisher hat es immer geklappt! Und die monetären Spendeneinnahmen reichten für die Anschaffung der Lieferwagen und für anderes Material. Neben dem Essen kann manchmal auch eine Isomatte oder ein Schlafsack ausgegeben werden.

Die vielen Geld- und Sachspenden machen deutlich: in der Stadtgesellschaft verändert sich ganz langsam der Blick auf die obdachlosen Menschen, das Bild vom »Penner« wandelt sich in ein Bild von »Bedürftigen«. Der Verein will das noch deutlicher vermitteln und plant Workshops in Schulen, bei den sich obdachlose Menschen mit ihrer Biografie vorstellen können und mit Schülerinnen und Schülern ins Gespräch kommen.

Im Dezember 2020 ist es sogar zum ersten Mal gelungen, einem Obdachlosen eine Wohnung zu vermitteln. Ein besonderer Erfolg, denn auch auf dem sozialen Wohnungsmarkt haben Obdachlose extrem wenig Chancen.

Der Verein hat noch einen Traum bzw. konkrete Ziele. Es fehlt mehr Platz als Lager, es fehlt ein Raum als Tagesaufenthaltsstätte, es fehlen Wohnungen für Obdachlose. Der Verein denkt daher über den Erwerb eines Mehrfamilienhauses nach – realisiert über eine Bankfinanzierung. Laufende Kosten würden dann über Mieteinnahmen im Rahmen der Sozialleistungen gesichert. Für den erforderlichen Eigenanteil sammelt der Verein schon fleißig Spenden.

Kontakt und Ansprechpartner:
Solidarität in Mülheim e.V.
Sascha Prandstetter (1. Vorsitzender)
Bottenbruch 67
45475 Mülheim
Tel: (0163) 1427234
E-Mail: info[at]si-mh.de (info[at]si-mh[dot]de)
Web: www.si-mh.de
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