Utopiastadt: Freiraum für die Gestaltung der Gesellschaft von morgen

Drei junge Männer mit Warnweste stehen an einem Baugerüst.

Utopiastadt: Freiraum für die Gestaltung der Gesellschaft von morgen

Engagement des Monats Juli 2021

Engagementpreis NRW | Vor über zehn Jahren mit der Vision für einen Ort gestartet, den Bürger/innen für freie Kulturveranstaltungen und Vernetzung nutzen können, ist Utopiastadt in Wuppertal heute ein überregional viel beachtetes Projekt der gesellschaftlichen Transformation im städtischen Raum. Auf dem Gelände rund um ein historisches Bahnhofsgebäude verbinden die Utopist/innen konkrete Aktionen mit abstrakten Ideen für die Gestaltung der Gesellschaft. Viele der Engagierten stammen aus dem direkten Umfeld in der Wuppertaler Nordstadt. Sie möchten gemeinsam das Zusammenleben im Quartier verbessern.

Eine Gemeinschaftswerkstatt und ein Hackerspace in der alten Gepäckabfertigung, ein Konzertraum im ehemaligen Wartesaal 3 und eine Urban Gardening-Fläche auf dem Außengelände – rund um den ehemaligen Bahnhof Mirke im Wuppertaler Norden sind in den letzten Jahren viele Projekte entstanden. Eine Gruppe Engagierter zog im Jahr 2011 in das historische Backsteingebäude ein und gründete Utopiastadt, einen bürgerschaftlich geführten, innerstädtischen Freiraum, an dem die Anwohner/innen die Möglichkeit haben, ihre Gesellschaft aktiv mitzugestalten. Mittlerweile gehört zum Campus von Utopiastadt auch eine 35.000 qm große alte Industriefläche rund um den Bahnhof. Hier werden Zukunftsideen diskutiert und transformative Strategien ausprobiert. »Uns ist es ein Anliegen, dass die Bürger/innen ihre Gestaltungsmöglichkeiten in der Gesellschaft erkennen und wahrnehmen, um eine resiliente Zukunftsvision zu entwickeln«, erläutert Amanda Steinborn aus dem Vorstand des Vereins die Zielsetzung. »Utopiastadt soll ein andauernder Gesellschaftskongress mit Ambitionen und Wirkung sein.«

Die Utopist/innen legen seit Beginn großen Wert auf die Verbindung von praktischem Tun und theoretischem Hintergrund. Die Diskussionen über die Gesellschaft von morgen befruchten konkrete Projekte und andersherum. Hier wird beim kostenlosen Radverleih geschraubt, andere kümmern sich um den »Stadtgarten«, wo Gemüse und Blumen wachsen und die Bienen schwirren. Gleichzeitig entwickelt die Initiative, die mittlerweile über einen Förderverein und eine gGmbH verfasst ist, gemeinsam mit der Stadt Wuppertal nachhaltige Stadtentwicklungs- und Mobilitätskonzepte, welche durch das Wuppertal Institut wissenschaftlich beforscht werden und überregionale Strahlkraft erlangt haben. Die Sanierung des alten Bahnhofsgebäudes findet zu einem großen Teil in Eigenarbeit statt. 15-20 Personen aus dem Quartier treffen sich in wechselnder Besetzung jeden Samstag. Dabei gilt stets der Grundsatz des voneinander Lernens, da alle Utopist/innen mit anpacken und sich gegenseitig anleiten.

Viele der Engagierten kommen aus den umliegenden Quartieren. »Über die Jahre hinweg ist das Interesse an Utopiastadt stark gestiegen und damit auch das Engagement«, berichtet Amanda Steinborn mit Blick auf insgesamt etwa 150-200 Utopist/innen, die vor Ort aktiv sind. Manche von ihnen kommen täglich, andere einmal im Monat. Einige haben konkrete Aufgaben übernommen wie z.B. die Anleitung von Freiwilligen während der Sanierungsaktion oder einen Posten im Vorstand des e.V. Andere fühlen sich von der vibrierenden Atmosphäre auf dem Campus angezogen und helfen mit Freude beim Auf- und Abbau von Kulturveranstaltungen und Konzerten. Dabei entsteht ein besonderes Gemeinschaftsgefühl. Die über 50 Angebote und Unternehmungen von Utopiastadt sind zum größten Teil kostenfrei, damit alle Nachbar/innen aus dem Quartier an diesen teilhaben können. So bietet der kostenlose Radverleih die Möglichkeit, innerhalb von Wuppertal und besonders auf der angrenzenden Nordbahntrasse, einem 22 Kilometer-langen Rad- und Fußweg quer durch den Norden der Stadt, mobil zu sein. Konzerte und Ausstellungen sind ebenso kostenfrei und auch die Gastronomie im Bahnhof unterliegt keinem Konsumzwang. Das Café bietet mit freiem W-Lan und kostenlosen Spielen auch den Kindern und Jugendlichen aus der Umgebung einen willkommenen Aufenthaltsort. Die Kleinsten können sich auf einem Sandspielplatz vor dem Bahnhof ausprobieren. In einen roten Briefkasten können Kinder dort auch ihre Wünsche für ein »Traumviertel« einwerfen.

Auf Quartiersebene pflegen die Aktiven von Utopiastadt eine enge Zusammenarbeit mit anderen Kultur- und Sozialeinrichtungen sowie bürgerschaftlichen Initiativen und Projekten. Regelmäßige Gesprächsformate sind das »Forum:Mirke«, auf dem mit lokalen Organisationen und Interessierten über stadtpolitische und stadtplanerische Themen diskutiert wird. Die »Stadtentwicklungssalons«, zu denen immer wieder Referent/innen eingeladen werden, adressieren mit Themenabenden zu »Mobilität«, »Wohnen« oder »Stadt im Wandel« die ganze Breite der Quartiersgesellschaft.

Die Corona-bedingten Einschränkungen nutzen die Utopist/innen zu intensiven Planungen, auch über die Gestaltung der zuletzt neu erworbenen Außenflächen. Die Anwohner/innen werden im Rahmen von Workshops dazu eingeladen, sich an dieser Diskussion zu beteiligen. »Die Ideen reichen derzeit von der Ausweitung unserer Urban Gardening-Fläche zu einem Lehr-Lern-Biotop mit Teich und Obstwiese bis hin zu einer Halle, die als NGO-Co-Working genutzt werden kann und neben Büroplätzen Raum für Konferenzen und Veranstaltungen bietet«, greift Amanda Steinborn einige Vorschläge heraus. Darüber hinaus gibt es Planungen, innerhalb eines utopischen Bildungsprogramms noch mehr Möglichkeiten für Wissens- und Erfahrungsaustausch zu eröffnen, um das Prinzip des voneinander Lernens weiter zu fördern. »Und auch wenn wir bereits viele Anreize für die Nachbarschaft geschaffen haben und zu einem großen Teil selbst aus dieser bestehen, möchten wir vor allem für die einkommensschwache und migrantische Nachbarschaft weitere Anreize schaffen, sich einzubringen, und die offenen Angebote noch aktiver kommunizieren«, so Steinborn. Die Engagierten von Utopiastadt werden sich der Herausforderung stellen, die vielen unterschiedlichen Wünsche und Bedürfnisse und deren Flächenbedarf mit der notwendigen Refinanzierung des Kredites und der laufenden Kosten der Initiative unter einen Hut zu bringen. Klar ist jedoch bereits, dass die Profiteure der neuen Projekte die Anwohner/innen des Quartiers sein sollen. Es ist schließlich ihr Stadtraum.

Kontakt und Ansprechpartnerin:
Utopiastadt e.V.
Amanda Steinborn
Beisitz Vorstand
Mirker Straße 48
42105 Wuppertal
Tel.: (0202) 39 34 86 57
E-Mail: a.steinborn[at]verein.utopiastadt.eu (a[dot]steinborn[at]verein[dot]utopiastadt[dot]eu)
Web: https://clownfisch.eu/