
"Ein Rucksack voll Hoffnung": Wie eine Schüleridee Münster verändert hat
Engagement des Monats Mai 2025
Was als Schulprojekt begann, ist heute eine feste Institution in Münster: "Ein Rucksack voll Hoffnung – für Münster e.V." verbindet akute Hilfe für Bedürftige mit politischem Engagement und Bildungsarbeit. Dahinter steht ein engagiertes Team rund um den ehemaligen Schüler und heutigen Mediziner Sebastian Jeising – und eine große Vision für die Zukunft.
In einem schlichten Keller am Domplatz duftet es nach Kaffee. Auf einem runden Holztisch stehen Teller mit selbstgebackenem Kuchen, der heute aus der Nachbarschaft gespendet wurde. Zwei Männer sitzen nebeneinander, spielen „Mensch ärgere dich nicht“, ein dritter schüttelt lachend den Kopf, weil er zum dritten Mal rausfliegt. Es ist Mittwochnachmittag – Begegnungszeit im Spendenkeller. Menschen mit den unterschiedlichsten Geschichten kommen hier in den Räumen des Münsteraner Vereins “Ein Rucksack voll Hoffnung – für Münster e.V.” zusammen. Einige sind wohnungslos, andere kämpfen mit Altersarmut oder Einsamkeit. Was sie verbindet: die Einladung zu einem Ort, an dem sie einfach Mensch sein dürfen.
Der Ursprung: Eine Fahrradtour und ein Straßenmagazin
Die Wurzeln von „Ein Rucksack voll Hoffnung – für Münster“ liegen weit zurück: 2014, noch während seiner Schulzeit, beobachtete Sebastian Jeising – heute Vorsitzender des Vereins – auf seinem Schulweg obdachlose Menschen, die am Bahnhof Unterschlupf suchten. Für den jungen Schüler prägten sie das Stadtbild – es formte sich in ihm aber auch immer mehr die Frage: Wie kann ich helfen? Im sozialwissenschaftlichen Unterricht ging es um soziale Ungleichheit, in der Politik-AG wurde ebenfalls das Thema Obdachlosigkeit diskutiert, aber Sebastian wollte sich über die theoretische Auseinandersetzung hinaus engagieren. Ein Interview mit dem Leiter des Hauses der Wohnungslosenhilfe folgte – und ein Artikel für die Schülerzeitung, der später im Straßenmagazin “draußen!” erschien. Damit war der erste Kontakt zur Szene hergestellt.
Gemeinsam mit seinem Mitschüler Aurelius entwickelte er die Idee einer Schüler-Obdachlosen-Patenschaft. „Wir wollten ein Unterrichtsprojekt aufbauen, das das Thema Obdachlosigkeit an Schulen bringt“, erzählt Sebastian. Gemeinsam mit der Universität Münster entstand ein Konzept, das bis heute an Schulen durchgeführt wird. Theorie trifft auf gelebte Erfahrung: Wohnungslose oder ehemals obdachlose Menschen besuchen den Unterricht und erzählen ihre Geschichten – ein Modell, das Berührungsängste abbaut und Perspektivwechsel ermöglicht.
Engagement des Monats Mai 2025
Vom Rucksack zur Struktur: Die Entwicklung zum Verein
Dieses Schulprojekt war der Startschuss für die jungen Schüler – beiden war klar, dass sie sich verstärkt für Menschen in schwierigen Lebenssituationen einsetzen möchten. Bei einem Besuch eines Projekts in Hamburg entstand dann die Idee: Rucksäcke mit Lebensnotwendigem packen und direkt an Bedürftige verteilen. Daraus wurde “Ein Rucksack voll Hoffnung – für Münster”. Schnell kamen Unterstützende dazu. Sachspenden wurden organisiert, Mitschüler halfen beim Packen und Verteilen. Der Spendenkeller am Domplatz entstand als nächste Stufe: ein fester Ort, an dem Bedürftige individuell Hilfe bekommen. Neben Kleidung oder Hygieneartikeln auch eine Tasse Kaffee oder sonntags eine warme Mahlzeit.
Mit dem wachsenden Hilfsangebot und weiteren Projektideen im Hinterkopf wuchs auch der Wunsch nach Struktur. Diese brachte Timo Blaszczyk ein, der maßgeblich die Gründung eines gemeinnützigen Vereins im Jahr 2020 initiierte, unterstützt von einem engagierten Orga-Team mit Leitungen für die verschiedenen Ressorts. Er engagiert sich heute weiterhin als ehrenamtlicher Vorsitzender. Aktuell sind rund 60 Menschen im Verein aktiv, von Studierenden bis hin zu Menschen im Ruhestand. Etwa die Hälfte davon ist wöchentlich im Einsatz. Um die organisatorischen Angelegenheiten des Vereins kümmert sich Hermann Blum, Werkstudent in der dafür eingerichteten Geschäftsstelle.
„Die Gründung des Vereins hat uns professionalisiert“, sagt Sebastian Jeising. „Wir können Spendenquittungen ausstellen, Fördermittel beantragen und erhalten sowie langfristig planen.“ Und das war dringend nötig – denn das Engagement wuchs.
Mehr als Hilfe: Bildung, Beratung und Beteiligung
Die Projekte des Vereins haben sich über die Jahre entwickelt und sind heute vielfältig. Die Kauf-1-Mehr-Aktionen vor Supermärkten wecken Aufmerksamkeit und animieren die Bevölkerung aktiv zur Mithilfe. Besonders beliebt ist auch die Bonustafel: Wer in einem Café oder Restaurant einen Kaffee oder eine Mahlzeit „mehr“ zahlt, hinterlässt die Spende symbolisch auf der Tafel. Bedürftige können sich diese dann kostenlos abholen. Inzwischen ist das System in über zehn Lokalen in Münster vertreten. „Das ist eine Win-Win-Situation für alle“, erklärt Sebastian Jeising. „Die Inhaber freuen sich über zusätzliche Einnahmen, und Bedürftige können ein Stück Normalität erleben.“
Ein weiteres Herzstück ist die Begegnungsstätte – bisher im Spendenkeller, ab etwa Juni 2025 in einem neuen Ladenlokal. Hier wird es nicht nur Kaffee geben, sondern auch digitale Arbeitsplätze, kostenlose Rechtsberatung durch die Studenteninitiative “Law Clinic Münster”, medizinische Erstberatung in Kooperation mit dem ASB sowie Veranstaltungen wie Filmabende oder Kochkurse. „Wir wollen einen Ort schaffen, an dem man ankommt, zur Ruhe kommt, Fragen stellen darf – aber auch neue Perspektiven entdeckt“, sagt Sebastian Jeising.
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Nachwuchs sichern, Zukunft gestalten
Das Projekt lebt vom Engagement junger Menschen. Deshalb wird aktiv Nachwuchs gefördert – durch gezielte Ansprache in Erstsemester-Vorlesungen, über Social Media, durch Fortbildungen wie Erste-Hilfe-Kurse oder Deeskalationstrainings. Anna von Twickel kümmert sich als Werkstudentin aktuell um die Koordination der ehrenamtlich Helfenden. „Bei uns kann jeder mitgestalten“, sagt Sebastian Jeising. „Das ist ein zentraler Motivationsfaktor.“
Doch der Verein will nicht nur helfen – sondern auch verändern. Deshalb werden Politikschaffende regelmäßig zu Veranstaltungen eingeladen, Wahlprogramme auf soziale Aspekte hin durchleuchtet und Bürgerinnen und Bürger über soziale Missstände informiert. „Wir wollen vermitteln, wie wichtig politische Entscheidungen für Bedürftige sind – und Betroffenen eine Stimme geben“, erklärt Sebastian Jeising. In Arbeitskreisen und Netzwerken wie dem Paritätischen Wohlfahrtsverband bringt sich der Verein ebenfalls aktiv ein.
Blick in die Zukunft: Begegnung, Digitalisierung und Übertragbarkeit
Die Nominierung für den Engagementpreis NRW 2025 ist für den Verein Anerkennung und Motivation zugleich. Zum einen für die vergangenen zehn Jahre unermüdlichen Einsatz – zum anderen ein Signal nach außen, dass soziale Arbeit gesehen und gewürdigt wird. Zudem öffnet sie neue Türen: Die 1.000 Euro Nominierungsprämie werden in den Ausbau des neuen Ladenlokals fließen – für Möbel, digitale Infrastruktur und medizinische Grundausstattung.
Der Verein sieht in der Nominierung auch einen weiteren Schritt, um das Projekt dauerhaft zu verankern und langfristig auch in anderen Städten eine „Hoffnung“ zu hinterlassen. Denn das Konzept ist sehr gut auf andere Orte übertragbar. Berlin hatte bereits einen Ableger, andere Städte könnten folgen. „Wir sind bereit, unser Wissen und Material zu teilen – auch finanziell zu unterstützen, wenn sich neue Teams finden“, erklärt Jeising.
Sebastian Jeising bleibt dem Verein emotional eng verbunden, auch wenn ihn sein eigener Weg nun ins mittelfränkische Erlangen führt. Das starke Team aus Ehrenamtlichen, Werkstudierenden und dem Vorstand trägt die Projekte in Münster mit viel Verantwortung und Herz weiter. Und wer weiß: Vielleicht gibt es ja bald “Ein Rucksack voll Hoffnung – in Erlangen!”
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