Zwischen Nest und Netz: Kiebitze und Vogelschutz in Münster

Frau mit Smartphone macht Aufnahme von Kiebitz-Ei

Zwischen Nest und Netz: Kiebitze und Vogelschutz in Münster

Engagement des Monats April 2019

Engagementpreis NRW | Der Kiebitz steht im Mittelpunkt eines Projekts, mit dem engagierte Naturschützerinnen und Naturschützer im Münsterland einen wertvollen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt leisten. Gemeinsam mit der örtlichen Landwirtschaft und mit Hilfe digitaler Technik setzen sie sich dafür ein, den dramatischen Rückgang der Brutbestände in der Region zu stoppen und die Bestände des unverwechselbaren Vogels zu stabilisieren.
In Münster hätten viele Leute gerne einen Vogel, meint Kristian Lilje mit einem Augenzwinkern, und zwar einen ganz bestimmten: Etwa 28 bis 32 Zentimeter groß sollte er sein, mit schwarz-weißem Federkleid, lila-grün schillerndem Rücken und abstehender Federholle am Hinterkopf. Von welchem Tier die Rede ist, weiß Kristian Lilje natürlich auch, ist er doch in Münster und im Kreis Warendorf im Auftrag des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) mitverantwortlich für den Schutz des Kiebitz. Noch vor 50 Jahren war der auffällige Vogel auf den Feldern und Wiesen in Deutschland häufig zu sehen und zu hören. Heute ist er aus vielen Agrar- und Naturlandschaften verschwunden, sein Bestand gilt als stark gefährdet. Den europäischen Brutbestand schätzen Fachleute auf 1,1 bis 1,7 Millionen Brutpaare, in Deutschland brüteten 2016 noch zwischen 42.000 und 67.000 Paare. Zwischen 1992 und 2016 seien die Kiebitzbestände in Deutschland um 88 Prozent zurückgegangen, erläutert Kirstian Lilje. Als Hauptursache für den massiven Rückgang nennt er die »hochintensive Landwirtschaft«, die »Feuchtwiesen trockenlegt und zu Ackerland macht« und die »Bewirtschaftung nicht an die Bedürfnisse der brutplatztreuen Wiesenbrüter« anpasst. In NRW lebten noch ungefähr 8.000 Brutpaare, in Münster und im angeschlossenen Kreis Warendorf waren es 2017 etwa 690.

Dass Kristian Lilje über den Bestand in Münster so genau Bescheid weiß, hat einen guten Grund. Zum einen betreibt der NABU in Münster eine von nrw-weit 40 Biologischen Stationen, zum anderen sind die Nester der Kiebitze in Münster nicht nur auf dem Acker, sondern auch – für angemeldete und freigeschaltete Nestfinder/innen – über eine App im Netz zu finden. Wie es dazu gekommen ist, erläutert Kristian Lilje: »In Münster und im Kreis Warendorf brüten 94% der Kiebitze auf Äckern. Das zumeist karge Nest – denn Baumaterial ist auf den Ackerflächen kaum zu finden – wird in einer kleinen Mulde auf dem Boden angelegt. Das hat zur Folge, dass der Landwirt die Nester nur sehr schwer sehen kann und sie bei der Bewirtschaftung der Flächen regelmäßig zerstört«. Die Bestandsrückgänge der Kiebitze seien nur zu stoppen, wenn »ein sehr hoher Anteil der Nester zum Schlupf kommt« und möglichst viele Nester vorab »gefunden und markiert« würden.

Und an dieser Stelle kommen die freiwilligen Nestfinderinnen und Nestfinder ins Spiel, erklärt Lilje: »Im Rahmen des Bundesprogramms Biologische Vielfalt haben wir zunächst eine einfache Methode zum Auffinden der Nester entwickelt, in dem Freiwillige sie mit Stöckchen markieren. Maschinenführer können sie so sehen und beim Ackern umfahren«. Da die Zeit zwischen Anlage der Nester und Bodenbearbeitung jedoch nur wenige Wochen im Frühjahr beträgt, bedarf es vieler Nestmarkierer/innen. Damit diese ihre Arbeit koordinieren und die Fundstellen auf den Äckern des Münsterlandes und der Region präzise und möglichst lückenlos kartieren können, hat der NABU – mit finanzieller Förderung des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) und des Bundesumweltministeriums (BMU) sowie unterstützt durch eine Kofinanzierung des Umweltministeriums NRW (MULNV) – zusätzlich eine eigene App entworfen, welche die »flächendeckende Nestmarkierung« ermöglicht.

Wenn das Nest gefunden und markiert ist, wird es in der App lagegenau verortet. Werden Eimaße aufgenommen, berechnet die App den voraussichtlichen Schlupftermin. Will man später den Schlupferfolg markierter Gelege ermitteln, unterstützt einen die App durch Anzeige bereits geschlüpfter Nester und hilft durch hinterlegte Karten beim Wiederauffinden der Nestmulden. So sind in der letzten Brutsaison knapp über 3.500 Datensätze zusammengekommen, die über die Population in Münster und Umgebung penibel Auskunft geben. Lilje ergänzt, dass Flächen von Landwirten, die keine Nestmarkierung wünschen und dies auf eine kreisweite Abfrage mitgeteilt haben, in der App als »Tabuflächen« dargestellt würden.

Für die zurückliegende Kiebitzbrutsaison 2018 hat der NABU etwa 30 ehrenamtliche Nestmarkierer/innen aus Naturschutz, Landwirtschaft und Kreisjägerschaft geschult, die anschließend teilweise »als Multiplikatoren weitere Ehrenamtliche eingebunden haben«, sagt Lilje. Dieser praktische Ansatz und der Erfolg des gesamten Projekts sei nur durch die »vertrauensvolle Zusammenarbeit« von NABU, Landwirtschaftsverband, Landwirtschaftskammer und der zuständigen Naturschutzbehörde möglich, weist Kristian Lilje auf einen wichtigen Erfolgsbaustein des Engagements hin. Dem selbstgesteckten Ziel, möglichst viele Kiebitznester im Kreis Warendorf und der Stadt Münster zu bewahren, kommen die Aktiven auf diese Weise Schritt für Schritt näher.

Für die Zukunft sieht Kristian Lilje großes Potenzial für das appgesteuerte Schutzprogramm: »Die Methoden und die App können das Problem der Bearbeitungsverluste überall lösen«, ist er überzeugt. Alle Komponenten seien »beliebig skalierbar« und mit einer entsprechenden Anzahl an engagierten Freiwilligen wäre der Einsatz »auch deutschlandweit möglich«.


Kontakt und Ansprechpartner
NABU Naturschutzstation Münsterland e.V.
Kristian Lilje
Westfalenstr. 490
48165 Münster
Web: www.nabu-station.de
E-Mail: k.lilje [at] nabu-station.de (k[dot]lilje[at]nabu-station[dot]de )